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Emancipatory Boundary Critique - Experience Report

Emancipatory Boundary Critique (EBC) zwischen der «Arbeitsgruppe Bevölkerung (AGBe)» und Wissenschaftsvertretenden im Transens – TRUST Projekt

Kontext

Im Projekt Transens – transdisziplinäre Forschung zur Entsorgung hochradioaktiver Abfälle in Deutschland – war von Beginn an die Einbeziehung einer Personengruppe von ausserhalb der Wissenschaft – der Arbeitsgruppe Bevölkerung, kurz AGBe – vorgesehen.

Die AGBe beschäftigt sich zusammen mit weiteren Beteiligten im transdisziplinären Arbeitspaket TRUST u.a. mit dem Vertrauen, das Laien in das Verfahren (zur Suche und Auswahl eines geeigneten Standortes für ein Endlager für hochradioaktive Abfälle), in Behörden sowie in die Wissenschaft haben.

Die AGBe folgte der Einladung des TdLabs, die Emancipatory Boundary Critique (EBC) als mögliches transdisziplinäres Werkzeug auszuprobieren. Der EBC Workshop wurde als Vor-Veranstaltung zum jährlichen Projekttreffen des Transens Projekts in einem Online-Format durchgeführt. Der Workshop wurde aufgenommen.

Ziele der Methodenanwendung

Der EBC Workshop hatte folgende Ziele:

  • Vertieftes Kennenlernen der Projektmitwirkenden
  • Erster inhaltlicher Austausch zwischen TRUST WissenschaftlerInnen & AGBe
  • Experimentieren mit transdisziplinären Werkzeugen, mit denen die AGBe arbeiten kann im Austausch mit WissenschaftlerInnen

Teilnehmende und Ablauf

Die EBC wurde online durchgeführt mit 10 WissenschaftlerInnen und 10 Mitgliedern der AGBe sowie 1 Moderator. Zwei Wissenschaftler sowie vier Mitglieder der AGBe hielten Inputs als ExpertInnen.

Bevor wir mit der EBC zum Thema des Projektes Transens starteten, führten wir eine kurze Übung durch mit einem «fiktiven» Thema. Dies half den Teilnehmenden, sich an die Fragen zu gewöhnen, bevor wir in die eigentliche Diskussion einstiegen.

Nach diesem ‘Einüben’ wurde in 2 Teilgruppen in Break-out Räumen gearbeitet, mit anschliessender Diskussion im Plenum.

ThemaWerZeit

Welcome / Eintreffen auf zoom Plattform

Alle10'

Kurze Einführung in Ziele, Funktion, Anwendungen und theoretischer Hintergrund der EBC und Ablauf der Übung

Moderator/in10'

Kurzes Einüben an fiktivem Beispiel

Alle in Kleingruppen
(3-4 Personen)

10'

Übung 1:
Input Wissenschaftler (max. 7’);
Fragen gemäss Handout gestellt von AGBe; Diskussion (20’)

Break-out Raum 1:
Wissenschaftler A:
Input zu ‘Monitoring im Lichte einer möglichen Rückholung'
erste Hälfte AGBe

Break-out Raum 2:
Wissenschaftler B:
Input zu ‘Umweltüberwachung – Motivation & Zielsetzung’
zweite Hälfte AGBe

30'

Kurze Pause

Übung 2:
Input von AGBe (max. 7’);
Fragen gemäss Handout gestellt von Wissenschaftlern; Diskussion (20’)

Break-out Raum 1:
erste Hälfte AGBe: Input zu ‘Position der AGBe zur nuklearen Entsorgung’
Wissenschaftler B

Break-out Raum 2:
zweite Hälfte AGBe: Input zu ‘Position der AGBe zur nuklearen Entsorgung’
Wissenschaftler A

30'

Diskussion / Reflexion über Erfahrungen im Plenum

Alle, Moderator/in35'
Abschluss WorkshopAlle

Weiterentwicklung

Wie der Ablauf oben zeigt, haben wir im Workshop die Rollen in der Mitte gewechselt bzw. zwei Arten von Expertise betrachtet:

Zuerst befragte die AGBe die WissenschaftlerInnen als Experten in ihrem Fachgebiet;
danach befragten die WissenschaftlerInnen die AGBe zu Ihrer Expertise als Mitglied der AGBe.

Dieser Rollenwechsel wurde von den Teilnehmenden als bereichernd empfunden.

Hintergrund für diese Erweiterung der EBC ist die Kritik, dass durch die EBC die Ansicht zementiert werden kann, dass es auf der einen Seite ExpertInnen gibt und auf der anderen Seite Nicht-ExpertInnen. Mit dem Rollenwechsel stärken wir die Perspektive, dass jede/r, die/der sich an einer Diskussion beteiligt, eine Expertise bzw. Erfahrungswerte zu gewissen Bereichen beisteuern kann (z.B. bzgl. bestimmter Lebensbedingungen, Berufsethos, zivilgesellschaftlichem Engagement – oder eben bzgl. wissenschaftlicher Erkenntnisse).

Online Setting der EBC Anwendung
Online Setting der EBC AnwendungImmagine: TdLab

Reflexion

  • Die durch die EBC vorgegebene Liste der Originalfragen ist sehr abstrakt und erfordert einiges an Transferleistung, um die Fragen mit dem konkreten Inhalt der Diskussion zu verknüpfen. Daher wurde von der Moderation eine angepasste Frageliste (siehe Abbildung 2 unten) zur Verfügung gestellt. Die Reaktionen der Teilnehmenden in der Abschlussdiskussion zeigten, dass nach der Durchführung bei einigen das Interesse geweckt war, sich mit den Fragen vertiefter zu beschäftigen.
  • Die Fragen provozierten Klärungsbedarf, der schnell über die disziplinäre Fachexpertise der präsentierenden Wissenschaftler hinaus reichte und so die Relevanz transdisziplinärer Zusammenarbeit verdeutlichte.
    • Beispiel: Wo genau wird was entschieden und wie können BürgerInnen sich in diese Diskussion einbringen? Der Wissenschaftler kannte einige – aber nicht alle – Entscheidungsprozesse und differenzierte auch zwischen Entscheidungskompetenz (Parlamente) und tatsächlicher Auseinandersetzung mit Details (eher auf Verwaltungsebene).
    • Der antwortende Wissenschaftler verwies zudem oft auf KollegInnen aus anderen Disziplinen, deren Perspektiven (u.a. Ethik, Recht) helfen würden, Fragen zu beantworten.
  • Die Fragen zeigten auf, dass die Interessen der BürgerInnen am Thema Entsorgung radioaktiver Abfälle und die Fragestellungen/Forschungsinteressen in den wissenschaftlichen Projekten nicht deckungsgleich sind, was wiederum die Grenzen der wissenschaftlichen Projekte verdeutlichte.
    • Beispiel: Wissenschaftler versuchte Fragen zum Thema Endlager zu bearbeiten, während die AGBe (sich nicht an dieses Framing hielt und) sich in der Diskussion vermehrt für Fragen zu Zwischenlager und Transport zu interessieren begann.
  • Beim Rollenwechsel, in dem Wissenschaftler die AGBe befragten, führten die Fragen u.a. zu einer Auseinandersetzung bezüglich Entscheidungskompetenz. Wer soll schliesslich entscheiden dürfen/müssen? Wenn Bürgerschaftsvertretende mitentscheiden, wie tragen sie dann die Verantwortung für den Entscheid mit? Und was bedeutet das für die Auswahl der Bürgerschaftsvertretenden?
  • Beim Rollenwechsel wurde deutlich, dass sich die EBC besser eignet zur Diskussion von bereits gefestigten Erkenntnissen, als zur Diskussion einer noch im Entstehen befindenden Position der AGBe. Dennoch halfen die Fragen, die Gedanken zum Selbstverständnis der AGBe weiterzuentwickeln.
  • Aus unseren Beobachtungen heraus fragen wir uns: Inwiefern beeinflusste die Tatsache, dass die Wissenschaftler die EBC Fragenliste bereits bei der Vorbereitung kannten, die Art und Weise, wie sie ihre Erkenntnisse präsentierten? Ggf. kann auch darin eine Anwendungsform der EBC gesehen werden: Die EBC Fragen bei der Vorbereitung einer Präsentation dazu beitragen, dass eigene Grundannahmen bzw. Grenzziehungen bzgl. Motivation, Macht, Wissen, und Legitimation mit kommuniziert werden. Dies wäre in weiteren Durchführungen zu prüfen.
  • Das eigentliche Ziel der EBC, unterliegende Grundannahmen (Fakten- und Werte-bezogen) bei ExpertInnen sichtbar zu machen, konnte nur zum Teil eingelöst werden. Die AGBe neigte dazu, auf sachlich-inhaltliche Fragen aus den Vorträgen zu fokussieren. Damit wurden auch ein bisschen die Grenzen der Anwendbarkeit dieses Tools, zumindest für dieses Setting, aufgezeigt. Die Fragen haben dennoch sehr geholfen, die Diskussion zwischen den beiden Gruppen in Gang zu bringen und am Laufen zu halten.

Tipps

  1. Es bietet sich an, vor der eigentlichen EBC Anwendung eine kurze Übung zu machen, in der die Moderation die Expertenrolle einnimmt. Dies hilft den Teilnehmenden, sich mit den EBC Fragen vertraut zu machen.
  2. Überlegen Sie sich, welche der zwei Vorgehensweisen Sie wählen:
    • Sie geben den Teilnehmenden die Liste mit den Originalfragen ab.
      Vorteil: Die Teilnehmenden erhalten das ganze Spektrum an (theoretisch fundiert erstellten) Fragen und überlegen selbst, welche Ihnen wichtig erscheinen.
      Nachteil: Die lange Fragenliste kann überfordernd wirken und erfordert Multi-Tasking (Zuhören und gleichzeitiges Durchsuchen der Fragenliste nach Anschlussfragen).
    • Sie leiten einige wenige Fragen aus der Liste der Originalfragen ab und geben diese an die Teilnehmenden ab.
      Vorteil: Teilnehmende haben ein überschaubares, praktikables Werkzeug zur Hand.
      Nachteil: Den Teilnehmenden wird das gesamte Potential der Methode vorenthalten.
Beispiel angepasstes Fragen-Set
Beispiel angepasstes Fragen-SetImmagine: TdLab

Feedback der Teilnehmenden

  • Wissenschaftler: «Da sind eben noch viele offene Fragen, und das verbindet uns [die teilnehmenden Wissenschaftler und die Vertretenden der AGBe] sehr».
  • Vertretende AGBe: «Ich bin mit einer inneren Ablehnung an die Sache herangegangen und habe dann festgestellt, dass der Fragebogen gar nicht so verkehrt ist. Der Fragebogen ist nicht schlecht, um gegenseitig Standpunkte klar zu machen. Wir als AGBe haben noch nicht genug Eigenprofil, um die Fragen beantworten zu können.»
  • Vertretender AGBe: «Die Methode taugt dann, wenn unterschiedliche Interessensvertreter zusammenkommen. Dann kann ich diese hinterfragen.»
  • AGBe Vertretende: «Das Instrument hat für uns einen gewissen Rahmen abgesteckt, was eine andere Art von Diskussion ermöglicht hat. Es geht nicht darum, Fronten aufzubauen. Es geht darum, Standpunkte zu reflektieren. Reflexion über eigene Grenzen des Wissens anzustossen.»

Mehrere Teilnehmende erachten die Fragen als hilfreich. Einerseits, um Themen strukturiert anzugehen, ein Thema detailliert von verschiedenen Seiten zu betrachten (v.a. gegenüber Wissenschaftler als ExpertInnen). Andererseits um ‘ein Bauchgefühl’ explizit zu machen, und um sich zu fokussieren/zielgerichtet weiterzugehen (v.a. bei der Befragung der AGBe als ExpertInnen).

Die Workshopzeit verging wie im Fluge, die Fragen führten sehr schnell zu spannenden Diskussionen.

Aus Sicht der Beobachterrolle entstanden Momente des gegenseitigen Verständnisses zwischen Wissenschaftsvertretenden und AGBe, dass «wir alle in Unsicherheit leben», und dass «da nur Offenheit und Transparenz hilft».

Ausblick

Die AGBe hat sich inzwischen stark entwickelt und nimmt vermehrt die ihr zugedachte Rolle der «extended peer community» (nach Funtowicz & Ravetz, 1993) ein. Einige Vertretende der AGBe wollen immer tiefer in die Materie eindringen. In dem Sinne hat die EBC Übung ein wichtige Start-Funktion erfüllt.

03. Oktober 2022

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