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Tming in der Tierwelt (Sibylle Stöckli, FiBL; This Ruthishauser, Kontextlabor)

Die jahreszeitliche Entwicklung von Tieren wird durch das Wetter und
das Klima beeinflusst21. Bestimmte Signale wie die Tageslänge lösen
bei Tieren eine Verhaltensänderung zur Anpassung an die ungünsti-
gen Bedingungen im Winter aus. So wissen Tiere im Herbst instinktiv,
wann es für sie Zeit ist, in den Süden zu fliegen, die Entwicklung zu
stoppen, in Winterruhe zu gehen oder sich einen Futtervorrat anzule-
gen. Das saisonale Verhalten haben aufmerksame Beobachter schon
lange erfasst. Dazu gehört der Beginn des Bienenflugs oder die erste
Sichtung einer Rauchschwalbe. In der Landwirtschaft sind saisonale
Beobachtungen relevanter Entwicklungsstadien von Schadinsekten
ein wichtiger Bestandteil eines nachhaltigen Pflanzenschutzes. Diese
Beobachtungen fliessen auch in Beratungsbulletins für den Pflanzen-
schutz ein22. Zusätzlich gibt es auch Prognosemodelle, die bereits
frühzeitig das potenzielle Aufkommen solcher Stadien simulieren23.

Schwarzdorn und Bienenflug sind aufeinander abgestimmt
Schwarzdorn und Bienenflug sind aufeinander abgestimmtImmagine: KPS, Sibylle Stöckli

Fingerabdruck des Klimawandels
Phänologische Anpassungen an den beobachteten Klimawandel zei-
gen sich auch in der Tierwelt24–28 und haben in Zeiten des beschleu-
nigten Klimawandels nur an Aktualität gewonnen. Das bekannteste

Beispiel sind die An- und Abflugzeiten von Zugvögeln. Die jährliche
Migration ist eine ökologische Notwendigkeit für die Vögel, aber auch
für die Menschen hat sie eine symbolische Bedeutung im Jahreskalen-
der. Die längere Vegetationsperiode ermöglicht eine frühere Ankunft.
Oft verschieben sich die Abflugzeiten kaum, weil sich die Vögel stär-
ker nach der Tageslänge und weniger nach Klimaveränderungen rich-
ten. Im Frühling verändern sich ausserdem die Legedaten vieler Vögel.
Auch bei anderen Tierarten zeigen Beobachtungen ein früheres Auf-
treten im Frühling (Tabelle 3.1 in32). Die Veränderungen sind jedoch
je nach Art und Standort variabel29. Einige Arten reagieren auch gar
nicht. So ist die Vorverlegung typischer Frühlingsaktivitäten bei Am-
phibien zweimal so stark wie bei Vögeln oder Schmetterlingen (Abb.
17). Zusätzlich reagieren auch die Amphibienarten untereinander sehr
unterschiedlich. Viele Schmetterlingsarten in Grossbritannien, Spanien
und Kalifornien haben ihren ersten Flug des Jahres vorverlegt. Zudem
zeigt sich, dass gebietsfremde Arten sich oft schneller an die geänder-
ten klimatischen Bedingungen anpassen können. Verallgemeinernd
legen Beobachtungen nahe, dass die Unterschiede verschiedener Ar-
ten im gleichen Untersuchungsgebiet oft grösser sind als die mittle-
ren Unterschiede dieser Arten zwischen verschiedenen Regionen. Da
nicht alle Arten gleich auf die veränderten klimatischen Bedingungen
reagieren, kommt es zu Änderungen in ökologischen Beziehungen30.
In der Landwirtschaft ist die Bestäubung eine der wichtigsten ökolo-
gischen Funktionen. Die Häufigkeit von Bestäubern wie Bienen und
deren Futterpflanzen nimmt ab, und der Klimawandel ist neben der
Änderung der Landnutzung eine wichtige Ursache dafür31,32.

Vorverlegung typischer Frühlingsereignisse bei Pflanzen und Tieren auf der Nordhalbkugel in Tagen pro Jahrzehnt24.
Vorverlegung typischer Frühlingsereignisse bei Pflanzen und Tieren auf der Nordhalbkugel in Tagen pro Jahrzehnt24.Immagine: KPS, Sibylle Stöckli

Grosse Räume, kleine Lebenswelten
Wie sich über Jahrhunderte grossräumige Witterungslagen auf den
Bruterfolg der Kohlmeise auswirken, ist ein Beispiel von unzähligen,
welches die Einflüsse verdeutlicht (Abb. 18)33. Klimaindikatoren lie-
ferten in einem ersten Schritt grossräumige Zirkulationsmuster in der
Atmosphäre, die in verschiedenen Indizes Stärke und Richtung von
vorherrschenden Winden über dem Atlantik und Südosteuropa be-
schreiben. Die atmosphärische Zirkulation ihrerseits hängt eng mit
dem lokalen Klima im Frühling zusammen, das in Temperatur und
Niederschlag gemessen wird. Diese Faktoren haben wiederum einen
Einfluss darauf, wann die Kohlmeisen ihre Nester bauen und Eier le-
gen. Zudem sind dieWitterungsbedingungen ausschlaggebend dafür,
wie viele Eier in einem Nest liegen und wie viele Jungtiere schlüpfen.
Am Schluss der Kette – und auch wichtig für viele weitere Zusammen-
hänge in der Nahrungskette – ist die Zahl der Jungen, die das Nest
verlassen (Abb. 18).

Globale Klimafaktoren beeinflussen den Bruterfolg von Kohlmeisen über eine komplexe Wirkungskette33.
Globale Klimafaktoren beeinflussen den Bruterfolg von Kohlmeisen über eine komplexe Wirkungskette33.Immagine: KPS, Sibylle Stöckli

Folgen des zukünftigen Klimawandels auf
Schadinsekten

Durch die globale Erwärmung setzt die phänologische Entwicklung
von Schadinsekten früher im Jahr ein und vollzieht sich schneller. Zu-
dem finden gebietsfremde Schadinsekten neue, geeignete Gebiete
und können sich ausbreiten und etablieren31,34. Beim Apfelwickler
begünstigt dies die Entwicklung von zusätzlichen Generationen (Abb.
19)27. Das Risiko für Schäden durch den Apfelwickler unter zukünfti-
gen Klimabedingungen wird grösser. Er wird in Zukunft zahlreicher

und länger in den Obstanlagen anzutreffen sein. Der Apfelwickler und
andere Schadinsekten müssen also zukünftig länger im Jahr beobach-
tet und bekämpft werden. Unter den heutigen Bedingungen treten
Eier und Larven ab Ende Mai bis Anfang September in den Anlagen

auf. Unter den zu erwartenden Klimaveränderungen beginnt die Sai-
son ab 2045 rund zwei Wochen früher und dauert im Herbst rund
drei Wochen länger. Gleichzeitig werden neu drei Generationen von
ausgewachsenen Apfelwicklern zu beobachten sein.
Allerdings zeigen sich auch Chancen des Klimawandels für den Pflan-
zenschutz. Die erwartete Hitze während der Sommermonate dürfte
einigen Schadinsekten wie der Marmorierten Baumwanze zu schaffen
machen26. Es ist deshalb wichtig, schon jetzt nachhaltige Bekämp-
fungsstrategien für zukünftige Klimaszenarien zu entwickeln.

Apfelwicklerpopulation heute und in Zukunft und die wich- tigsten Strategien zur Bekämpfung27.
Apfelwicklerpopulation heute und in Zukunft und die wich- tigsten Strategien zur Bekämpfung27.Immagine: KPS, Sibylle Stöckli